Mittwoch, 22. September 2010

Nur Fliegen kann schoener sein...

Zwei Wochen Aethiopien waren schnell vorbei, auch wenn ich nicht annaehernd genug geschrieben habe, um dieses vielfaeltige Land auch nur zu skizzieren. Von Addis Ababa standen uns spannende Tage bevor, in denen wir den Weg suedwaerts nach Kenya und Tansania antreten wollten. Laut Reisebuch sollte diese Strecke von 1588km rund vier bis fuenf Tage dauern. Obwohl wir uns dieses Trips bewusst waren (waren wir das wirklich?), entsprang einen Tag vor geplanter Abfahrt bei allen der Wunsch nach Fliegen. Irgendwie darunter kommen, aber nicht im Bus und das auch noch fuenf Tage... Nach Checken saemtlicher Fluganbieter, Hotlines und Reisebueros war das unschlagbar guenstigste Angebot fuer Addis - Nairobi one way: 350 US-Dollar. Schweren Herzens und natuerlich der Umwelt zuliebe, wenn schon nicht unseren Knochen, kauften wir also ein Busticket nach Moyale, einer Stadt, die von internationalen Grenzen geteilt in zwei Staaten zugleich liegt: Aethiopien und Kenya.
Die zwei Tage die es brauchte, um in Moyale anzukommen, waren zwar lang, dafuer aber entschaedigten die Musiklautstaerken, die ein Flugzeug im Landeanflug wie sanftes Vogelzwitschern erscheinen lassen. Halb taub (natuerlich heisst es gehoerlos, doch nicht nur unsere Ohren waren 'taub' sondern auch unsre Glieder) trotteten wir ueber die Grenze nach Kenya. Nach einem letzten Male Njera essen warteten nun Ugali und Co. - Ostafrika endlich.

Tatsaechlich sprechen die Menschen im kenyanischen Teil Moyales vielfach Kiswahili, wenngleich nicht stets gleich souveraen. Ein gutes Gefuehl wieder die lokale Sprache zu sprechen, Missverstaendnisse in der Kommunikation ausschliessen zu koennen und nicht stets von potentiellen Dolmetschern umringt zu sein ('Dolmetscher' bewusst nicht gegendert, denn es sind immer Maenner, die nerven).
Zudem hatten wir doppelt Glueck, am naechsten Tag faehrt ein Bus von Moyale nach Nairobi. Busse naemlich fahren nicht taeglich und dass sie bis Nairobi durchfahren war uns neu, aber umso besser, denn das heisst einen Zwischenstopp weniger.
Am naechsten Morgen teilen uns die Lautsprecher erneut in schon erwaehnter lautstaerke mit, dass Gott gross ist und tatsaechlich habe ich recht wenig Beinfreiheit im Fahrzeug. Nach einer Stunde Lob'gesang' auf Allah hat der Fahrer Erbarmen (auch das ist ein Aspekt der meisten Religionen) und dreht die Lautstaeke auf ein ertraegliches Niveau. Passgenau zur spirituellen Musik folgt nun Rapmusik, deren Lyrics Frauen dazu auffordern sich am Boden zu raekeln und diverse Koerperteile zu schuetteln. Ich frage mich ob die ueberwiegend verhuellten Muslima im Bus wohl den englischen Text verstehen.
Die ersten 12 Stunden der Fahrt sind ereignisarm. Die Strasse ist soweit nicht geteert und zwingt alle Insassen zu schuetteln was das Zeug haelt. Die Landschaft Nordkenyas ist schlicht und endlos. Blick bis zum Horizont, alle paar Stunden ein Baum, ansonsten nichts als Vulkangestein und Staub. Durchbrochen wird sie immer wieder von Roadblocks, besetzt mit Soldaten. Paesse werden kontrolliert, geschmiert wird heute nicht. Ein Filmteam ist mit an Bord. Sie drehen eine Dokumentation ueber die Sicherheit auf der Strecke. Sicherheit ist hiet mehrdeutig beladen. Wie andernorts auch sind hier viele Fahrzeuge nicht ausreichend gewartet, die Fahrer (auch das sind immer nur Maenner) uebermuedet, denn sie fahren die gesamte Strecke und natuerlich die Strasse in keinem guten Zustand. Hinzu kommt die (Un-)Sicherheit was Ueberfaelle betrifft. Ueber Jahre hinweg wurden Busse das Ziel bewaffneter Ueberfaelle. Die Shifta (Banditen) kommen in der Mehrzahl aus Aethiopien, erklaert uns die Frau vom Filmteam. Dort sind sie geflohen vor der Regierung, die sie lange Jahre bekaempft haben. Sie kaempften fuer die Oromo Liberation Front (OLF) eine Gruppe die die Unabhaengigkeit Oromos von Aethiopien fordert. Die Oromo, zwar lange Zeit in Aethiopien unterrepraesentiert, stellen dort den groessten Bevoelkerungsanteil vor den Amhara, deren Sprache bis vor 20 Jahren Nationalsprache war und die in Politik und Wirtschaft dominieren.
Heute haben die ehemaligen Kaempfer_innen der OLF begonnen mit den Menschen Nordkenyas Frieden zu schliessen. Ueberfaelle sind seltener geworden, wenngleich sie sich noch immer wenn noetig aus ihren Verstecken herauswagen und Busse anhalten. Heute jedoch bitten sie im Gegensatz zu frueher um Geld und Nahrungsmittel, anstatt den gesamten Businhalt einzusacken. Ratsam ist es allerdings nach wie vor, etwas zu geben, sonst koennte doch das 'Bitten' etwas energischer werden. Waehrend das Filmteam geradezu hoffte eine Begegnung mit den Shifta, erleben zu koennen, waren wir nicht ungluecklich darueber, dass die Shifta auf einen Besuch am Tag unserer Reise verzichteten.

Uebrigens auch mit uns im Bus unterwegs war Mister Abdi, islamischer Fuehrer von gesamt Nordkenya. Mister Abdi war auf der Reise nach Nairobi, wo er andere Fuehrer trifft, mit denen er eine Konferenz im Sudan zu weiblicher Genitalverstuemmelung besucht (female genitale mutilation, kurz FGM). Dort werden, so Mister Abdi, Stragegien entworfen, wie FGM mithilfe von Autoritaetspersonen, wie ihm, auf kommunaler Ebene bekaempft werden kann. Eine sehr interessante Begegnung und ein guter Ansatz, religioese Fuehrer im positiven einzuspannen. Zum Abschied wiederum schuettelte Mister Abdi nur mir die Hand, Elena, Walburga und Anna-Lena bat er um Verzeihung, sie nicht in dieser Form zu verabschieden, denn die Relgigion verbiete es ihm Frauen zu beruehren (ausser seiner Ehefrau und seinen Schwestern). Insgesamt eine kuriose Beziehung zur Frau. Die letzten 12 Stunden Fahrt uebrigens waren Asphalt, selten habe ich schnoeden Beton so gewuerdigt.

Samstag, 18. September 2010

Knueppel und Kaffee in Lalibella

Die dritte Station unserer Reise, Lalibella, ist einer jener Orte, den alle Touristen und Reisende in Aethiopien aufsuchen. Vor 800 Jahren liess der damalige Koenig, Lalibella, Kirchen in den Fels hauen, um ein neues Jerusalem in Afrika zu erbauen. Die Kirchen sind allesamt aus einem einzigen Fels gehauen, bis zu 15m hoch und 30 m lang und auf der Welt einzigartig. Heute noch immer in Gebrauch sind sie nicht blosse Schauobjekte, sondern Teil des alltaeglichen Lebens.
Das Besondere an Lallibella neben diesen Wunderwerken, war fuer mich das Verhalten der Menschen. Es war der erste Ort an dem ich nicht nach Geld gefragt oder sonstwie belaestigt wurde. Ganz im Gegenteil die Menschen waren offen und neugierig, nicht jedoch aufdringlich wie an vielen anderen Orten. Am zweiten Tag sassen wir am Strassenrand auf einer kleinen Mauer und beobachteten das Treiben. Schon bald gesellten sich eine Menge Kinder und ein paar Erwachsene zu uns. Nach einer Weile Plauschen, rannten alle ohne Vorwarnung weg von uns und zerstreuten sich. Ein Polizeiauto war der Ausloeser, dass die Strasse entlangkam. Als es um die Ecke war, kehrten allmaehlich die Leute zu unserer Mauer zurueck. Marego, einer der Maenner, erklaerte mir in holprigem Englisch, dass der Bevoelkerung der Kontakt zu Touristen verboten ist, und bei Zuweiderhandlung Stockhiebe seitens der Polizei drohen. Lediglich offiziellen und lizensierten Guides ist demnach der Kontakt zu Weissen erlaubt. Geschockt und empoert von der Regelung ziehen wir weiter, ein wenig fernab der Strasse. Dort steht ein Kicker von Planen umgeben, die einen guten SIchtschutz bieten. Wir spielen einige runden gegen staendig wechselnde Gegner_innen, alle meochten uns und sich gegenseitig herausfordern. Eine halbe Stunde spaeter, sind wir schon zu Kaffee im Haus der Familie eines der Jungen, die schon an der Mauer vor der Polizei gefluechtet sind. Auf am Lehmboden liegenden Holzstaemmen quetschen sich rund 20 Menschen in das kleine Haus, die Tochter bereitet einen Kaffee nach dem anderen zu. Drei Tassen muessen wir Trinken, so will es der Brauch, jede hat einen eigenen Namen, nur den Dritten weiss ich noch: Baraka - arabisch fuer Segen.
Derweil erzaehlt uns einer der Maenner, die recht gutes Englisch sprechen die Politik der Behoerden. Ihmnach stellt das Kontaktverbot zu Touristen einen Schutz dar. Kinder die Geld bekommen von den Touristen, werden dies auch in Zukunft versuchen und sich als kleine Guides versuchen, statt in die Schule zu gehen. In vielen touristischen Orten ist dies tatsaechlich ein Problem. Auch erwachsene Menschen koennten Geld erbetteln anstatt ihrer sontigen Geschaefte nachzugehen, sobald das Erbetteln wirtschaftlicher ist, was schon schnell der Fall sein kann.

Interessant ist dieser Gedanken durchaus, denn Menschen besonders in laendlichen Orten, muesen Wege finden mit dem Tourismus umzugehen. Soll ein Kontaktverbot also ein geeignetes Mittel dazu sein? Vorstellen kann ich es mir nicht, zumal Zwang nie ein geeignetes Mittel sein kann. Eines jedoch waere ohne diese Politik nicht zustande gekommen: Ein Kickerturnier und eine grosse Runde kaffeedurstiger Menschen, die sich vorher zum Tei nicht kannten. An anderem Ort, waeren wir wohl nur kurz auf der Mauer verweilt, denn schon bald waeren wir anstatt interessanter Gespraechspartner_innen, blosse Moeglichkeiten des Gelderwerbs gewesen. Jedes Mal jedoch wo ich die Polizei sah, schauderte es mich, Knueppel gegen Menschen, die Kontakt suchen...nein danke.

Sonntag, 12. September 2010

Wie war das gleich - Geschichtsloses Afrika?

Wir schreiben den 3. September des Jahres 2003. Gestern war Neujahr in Aethiopien, ich wuensche Melkom Addis Amad. Anderer Kalender, eigene Schrift und einen Haufen verschiedenste Sprachen, Aethiopien tickt nach eigener Uhr. Als eines der beiden afrikanischen Laender, dass sich der Kolonisierung entzogen hat - das zweite ist Liberia - ist Aethiopien in vielerlei Hinsicht einzigartig. Sechs Jahre dauerte die Besatzung durch den italienischen Faschismus, bis Kaiser Menelik und die RAF from England, die Faschos hinfort bombten. Und was sind schon sechs Jahre von 2000, die Aethiopien regiert wurde von verschiedensten Kaisern, zuletzt Haile Selassie, der vor seiner Thronbesteigung noch Ras Tafari hiess, und von eben den Rastafaris noch heute verehrt wird. Warum eigentlich? Als er aus dem Flugzeug stieg in Kingston, Jamaika, begann es zu regnen, nach jahrelanger Duerre. In Athiopien ist das Verhaeltnis der Menschen etwas zwiegespaltener zum alten Kaiser. In den 70ern wurde Haile Selassie abgesetzt, Aethiopien wurde zum ersten Male Republik. Es folgten jedoch Jahre des Terrors unter dem kommunistischen Regime Mengistus. Heute ist Aethiopien offizielle Mehrparteiendemokratie und tickt noch immer nach seinen eigenen Regeln. Der Staat ist foederal aufgebaut. Jede Provinz hat das Recht sich fuer unabhaengig zu erklaeren, wenn die jeweilige Bevoelkerung dafuer stimmt. Bereits einmal ist dies geschehen, im Falle Eritrea, dass historich ein Teil Aethiopiens, lange aber italienische Kolonie war. Nach der Unabhaengigkeit von Italien wurde es Aethiopien erneut eingegliedert, gegen den Willen der Bevoelkerungsmehrheit. Rund 30 Jahre dauerte allein der bewaffnete Kampf um Souveraenitaet. Erst unter Menes Zelawi, Aethiopiens heutigem Praesidenten durfte Eritrea sich lossagen vom grossen Bruder/grosse Schwester. Diesmal jedoch bewies Aethiopien, dass die neue Verfassung mehr als hohle Floskeln waren. Ironischerweise schwelt seit einigen Jahren ein weiterer Sezessionskonflikt: Im Osten des Landes, der Wuestenregion Ogaden, kaempfen Gruppen fuer die Unabhaengigkeit der Region, die fast ausschlieslich von Somali bewohnt ist. Hier wird das Bestreben von Aethiopiens Armee mit Gewalt unterdrueckt.

Doch zurueck zur Geschichte - oder zumindest einzelnen Aspekten. Den Eintrag haette ich auch "Did you know?" nennen koennen. So, did you know, dass eine Minderheit Aethiopier_innen juedischen Glaubens sind? Falasha heisst die Bevoelkerungsgruppe und lebt heute zum Grossteil in Israel, in das sie 1991 eingeflogen wurden, um jahrhundertelanger Diskriminierung zu entgehen. Auch die Kaiser Dynastien, bis hin zu Haile Selassie, beriefen ihr Dasein auf Koenig Salomon, von dem sie nach eigener Darstellung abstammten. Zweifelsohne, hegte das Land schon vor dem Jahr 0 Handelsbeziehungen zum alten Griechenland, Aegypten und eben Israel. Auch der Ark of Covenant, eine der wertvollsten juedischen Reliqiuen, befindet sich bis heute in Aethiopien. Der Grossteil der Bevoelkerung ist hingegen christlich-orthodox. Viele Frauen haben Kreuze in ihre Gesichter taetowiert, Priester laufen durch die Strassen und Menschen kuessen das Kreuz, dass die Priester mit sich tragen. Doch es gibt sie auch, die atheistische Gemeinschaft im Norden des Landes. Antirassistisch und antisexistisch organisiert, leben Menschen dort gleichberechtigt zusammen. Rund 1000 Personen umfasst die Gemeinschaft, schon mehrfach hat das aethiopische Fernsehen ueber sie berichtet, immerhin.

Ein weiteres interessantes Detail, dass kaum jemand weiss: Haile Selassie war der erste Regierungsvertreter, der Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg besuchte. Resultat der Reise: Aethiopien zahlte Entwicklungshilfe an die BRD. Vorallem Decken und Nahrungsmittel wurden nach Deutschland gebracht. Heute ist es andersrum, viele Universitaeten des Landes wurden von der GtZ erbaut und ausgestattet.

Und dann gibt es noch den IWF, den Internationalen Waehrungsfond, jene neoliberale Institution, die schon so viele gute Ansaetze von sogenannten Entwicklungslaendern zunichte gemacht hat. In Aethiopien forderte sie das Uebliche: Oeffnung der Maerkte und des Finanzwesens, Stopp der Ausgaben fuer Projekte der Armutsbekaempfung und einen rigosen Sparkurs. Menes Zelawi aber empfand diesen Unsinn, neben dem Aspekt, dass er Unsinn ist, als erneute Kolonisierung und trat in Konflikt mit dem IWF. Folglich wurden Aethiopien keine Kredite mehr genehmigt, bis sogar der IWF einsehen musste, das der Regierungskurs doch eigentlich bloss richtig war. Manches laeuft hier eben nicht so schlecht wie Mensch in Europa so denken mag. Was bisher so geschah, erzaehle ich bald, nun aber wartet ein Machiatto auf mich, zumindest etwas Gutes haben die Faschisten hier hinterlassen. Ciao!